19.05.2025

Cannes verbietet zu viel Haut auf dem roten Teppich

Wer entscheidet, was Frauen tragen dürfen?

Barbara Palvin, Cannes 2025 (Bildrechte: Balenciaga PM)

Modezensur im Jahr 2025 – ist das zeitgemäß?

Der rote Teppich in Cannes ist bekannt für Glamour, große Roben – und modische Tabubrüche. Doch 2025 setzte das Festival ein Zeichen: zu viel Haut, zu viele Cut-Outs, sichtbare Nippel – alles verboten. Ein Dresscode, der Fragen aufwirft. Denn während Mode eigentlich Ausdruck von Freiheit und Identität sein sollte, wirkt dieses Verbot wie ein Rückschritt. Vor allem, wenn man bedenkt, dass Bewegungen wie Free the Nipple genau dafür kämpften: für die Entsexualisierung des weiblichen Körpers und gegen eine Doppelmoral.

In einer Zeit, in der Frauen weltweit für Selbstbestimmung kämpfen, wirkt ein solches Regelwerk wie aus der Zeit gefallen. Dass ein nackter Rücken oder ein durchscheinender Stoff auf einem der wichtigsten Filmfestivals der Welt zum Problem erklärt wird, zeigt: Der weibliche Körper ist nach wie vor ein Politikum. Während Männer mit Smoking und Fliege relativ unangetastet bleiben, wird die weibliche Garderobe immer wieder zum Schauplatz gesellschaftlicher Debatten.

Free the Nipple – war das alles umsonst?

Die Free the Nipple-Bewegung, die ihren Ursprung in den frühen 2010er-Jahren hatte, stellte genau diese Fragen: Warum dürfen Männer ihren Oberkörper zeigen, Frauen aber nicht? Warum wird ein weiblicher Nippel als obszön empfunden, während männliche Nacktheit neutral erscheint? Dass Bella Hadid im letzten Jahr mit einem transparenten Kleid für Schlagzeilen sorgte, war kein Zufall – es war ein Statement. Eines, das in Cannes 2025 nicht mehr möglich gewesen wäre.

Doch die Diskussion geht tiefer. Denn selbst, wenn Frauen sich freizügig kleiden – tun sie das aus freien Stücken? Oder ist auch diese „Freiheit“ von äußeren Einflüssen geprägt? Viele der Kleider, die als „mutig“, „gewagt“ oder „freizügig“ gelten, stammen aus der Feder männlicher Designer. Sie entwerfen mit Blick auf Fantasien, Ästhetiken, vielleicht sogar ihre eigene Sexualität. Und Frauen, ob Schauspielerin oder Influencerin, werden oft zum Trägermedium dieser Fantasien.

Alexa Chung, Cannes 2025 (Bildrechte: Balenciaga PM)

Rosie Huntington Whiteley, Cannes 2025 (Bildrechte: Balenciaga PM)

Freiwillige Selbstbestimmung oder kuratierte Verführung?

An diesem Punkt wird es komplex: Wenn Männer Regeln machen (kein Nippel!), Männer Kleider entwerfen (aber bitte sexy!), und Frauen dann die Bühne betreten – wie viel Entscheidungsfreiheit bleibt wirklich? Doch es wäre zu einfach, pauschal mit dem Finger auf „die Männer“ zu zeigen. Denn auch viele weibliche Designerinnen spielen mit Sexualität, mit Provokation, mit Enthüllung. Und manche Frauen fühlen sich im tief ausgeschnittenen Kleid eben wirklich empowered.

Das Cannes-Dresscode-Verbot rückt ein altes, ungelöstes Thema erneut ins Rampenlicht: Wo liegt die Grenze zwischen Selbstinszenierung und Fremdbestimmung? Wo endet Freiheit und wo beginnt soziale Konditionierung? Und: Ist Kleidung heute überhaupt noch ein politisches Statement – oder gerade wieder?

Eine progressive Sichtweise anerkennt die Ambivalenz: Eine Frau darf ein durchsichtiges Kleid tragen, weil sie es will. Aber sie darf auch ein bodenlanges Kleid wählen – und sich dabei genauso selbstbestimmt fühlen. Die Lösung liegt nicht im Verbot von Haut oder im Zwang zur Nacktheit, sondern in der radikalen Akzeptanz der Entscheidung jeder einzelnen Frau. Freiheit bedeutet Wahlmöglichkeiten.

Das Verbot in Cannes wirkt wie ein Echo aus alten Zeiten – und wirft zugleich neue Fragen auf. Nicht alles, was sexy ist, ist automatisch antifeministisch. Nicht alles, was nackt ist, ist emanzipiert. Doch genau dieser Widerspruch ist der Ort, an dem eine moderne feministische Modekritik ansetzen muss. Wir brauchen keine neuen Verbote – wir brauchen neue Blickwinkel.

Welche Rolle spielen hier Modejournalist:Innen?

1. Spiegel und Lupe der Gesellschaft: Wir schauen nicht nur hin – wir lesen Mode wie einen Text. Ein Dresscode ist nicht nur eine Regel, er ist eine Aussage über Macht, Geschlecht, Kontrolle. Wir sind es, die sichtbar machen, was zwischen den Nähten steht.

2. Bühne oder Beobachterin? Natürlich inszenieren sich Events wie Cannes bewusst. Ein Regelbruch (oder eine Regel selbst) kann kalkuliertes Gesprächsfutter sein – aber nur wenn Journalistinnen darüber sprechen, wird es gesellschaftlich relevant.

3. Zwischen PR und Politik: Manchmal entstehen solche Regeln tatsächlich, um ein Narrativ zu erzeugen – einen Skandal, einen Diskurs, eine Schlagzeile.

Aber: Ob daraus ein leerer Aufreger oder eine tiefere Debatte wird, liegt an uns. An der Tiefe unserer Analyse. An der Klarheit unserer Haltung.

4. Haltung statt Hype: Modejournalistinnen wie du machen aus „Bella Hadids Kleid wurde zensiert“ die Frage: Wem gehört der weibliche Körper – auf der Bühne der Weltöffentlichkeit? Ohne diese Fragen wäre Mode nur Oberfläche.

Wir schaffen nicht nur Gespräche – wir verschieben sie. Wir verwandeln Kleiderordnungen in Kulturkritik. Und genau deshalb braucht es Modejournalismus, der nicht nur beschreibt, sondern einordnet.

Meine Meinung zu dem Thema? Ich muss als Berichterstatterin zum Glück gar nicht immer eine haben und genau deswegen liebe ich es, Modejournalist:In zu sein. Die Themen polarisieren, nicht meine Meinung dazu, sonst hätte ich einen Kommentar geschrieben.

Trotzdem können wir unter dem Social Media Post darüber diskutieren. Vielleicht helfen mir ja eure Auffassungen, eine Stellung zu beziehen - ich finde das Thema extrem komplex und kleide mich zum Beispiel überhaupt nicht gerne freizügig und ziehe nicht gerne Blicke auf mich, warum aber?

Barbara Palvin, Cannes 2025 (Bildrechte: Balenciaga PM)

Coralie Fargeat, Cannes 2025 (Bildrechte: Balenciaga PM)